Zwiebelwähe ohne wähe

Lieber Markus,

für manche kommt der Strom aus der Steckdose, und für mich kam das Essen aus dem Supermarkt, als wir 1992 in unsere WG in Konstanz einzogen. Wenn ich damals überhaupt etwas kochen konnte, dann vielleicht heißes Wasser. Deshalb hast glücklicherweise Du das Kochen übernommen, und wir wurden zu einer kulinarischen Luxus-WG. Ich sah mit Staunen, dass man Pizza, Krautwickel, Maultaschen oder Hummersuppe tatsächlich selbst machen kann.

Davon inspiriert, versuchte ich mich später selbst an Sauerbraten mit Semmelknödeln, für den Anfänger, der ich war, eine Aufgabe, die zu völligem Chaos führte, aber geklappt hat es und geschmeckt auch. Die Faszination, aus ein paar seltsam aussehenden Rohstoffen ein leckeres Gericht zu kochen, das im Idealfall zu Glücksgefühlen bei meinen Gästen führt, hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

In der Rückschau hatte ich in unserer WG also ein Erweckungserlebnis, das noch 17 Jahre später nachwirkt. Heute, als First Lady in Accra, stehe meistens ich in der Küche und habe weniger mit dem Kochen selbst als mit den Zutaten meine Probleme. Accra ist zwar eine Millionenstadt, doch können wir bei den hiesigen Supermärkten nie sicher sein, welche der für uns völlig normalen Produkte sie überhaupt führen und welche davon gerade vorrätig sind.

Es war September, und da anscheinend genetisch so programmiert, begann ich vom Neuen Wein und Straußenwirtschaften zu halluzinieren. Also beschloss ich, eine Zwiebelwähe zu backen, das ist ein sehr dicker Zwiebelkuchen, und machte mich eines Samstagmorgens auf, die Zutaten zu besorgen. Die Zwiebeln waren kein Problem, doch schon mit dem Schinkenspeck fingen die Schwierigkeiten an.

Das Schwein in jeder Form, lebendig, als Schnitzel oder Speck, ist hierzulande leider wenig verbreitet. Am Ende musste ich den tiefgefrorenen Frühstücks-Bacon nehmen, von dem man nur hoffen kann, dass er wirklich während seiner gesamten Existenz gefroren war. Es geht nämlich das Gerücht, dass in den Supermärkten über die Nacht die Tiefkühltruhen ausgeschaltet werden, um Strom zu sparen.

Sahne war die nächste Hürde, da Milchprodukte ebenfalls unbekannt sind. Seltsam, wo doch überall, auch auf Straßen mitten in der Stadt, gelegentlich Kuhherden herumlaufen. Wenn überhaupt, werden Milch, Joghurt oder Sahne aus Frankreich importiert und sind entsprechend teuer. Ein Becher Sahne kostet um die drei Euro, aber für einen echten Heimatabend ist mir natürlich nichts zu teuer.

Egal, wie einfach ein Rezept ist, wenn eine Zutat fehlt, wird’s schwierig. Und genau eine, nämlich die Kartoffelstärke, oder auf Englisch „potato starch“, wollte sich nicht finden lassen. Kein Mensch hier wusste, was das ist, und nach stundelanger Suche in allen Supermärkten gab ich schließlich erschöpft auf. Da ich nicht wusste, womit ich die Stärke ersetzen könnte, ließ ich sie einfach weg. So war meine Zwiebelwähe oben herum etwas wabbelig, schmeckte aber trotzdem gut.

Hinterher wurde uns, vor allem mir, leider entsetzlich schlecht. War es der Speck aus der fragwürdigen Tiefkühltruhe, die importierte Sahne oder eine schlecht gewordene Zwiebel? Das weiß man nie, aber unsere Verdauungsorgane scheinen für dieses Land, das früher auch „White man’s grave“ genannt wurde, nicht gemacht.

Viele Grüße aus Accra,

Michael