Liebe in den Tropen, aber mit System

Seit einer Woche ist E. auf Reisen. Dienstreisen. Arbeitet, schuftet, ackert, rackert irgendwo in einem fernen Land. Ich lasse es mir derweil auf der Terrasse gut gehen, in der einen Hand ein Buch, in der anderen eine Zigarre. Während ich so vor mich hin stinke, und die Vögel auf den Ästen husten, wandern die Gedanken. Ziehen immer engere Kreise, bis sie sich auf einen Punkt fokussieren: Morgen kommt sie zurück, erschöpft vermutlich, und ich will ihr ein schönes Willkommen bereiten. Die Frage ist nur, wie?

In dem Buch, das ich dort auf der Terrasse lese, geht es um Liebe. Es ist weder ein schwülstiger Roman, noch ein schlauer Ratgeber, wie Männer Frauen – und umgekehrt – endlich, endlich verstehen können. Es sind auch keine Kurzgeschichten, oder gar Gedichte. Es ist ein Buch voller Radio- und Fernseh-Interviews mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann, in dem ich völlig unerwartet eine Passage über die Liebe entdeckt habe.

Ich bin baff. Bei einem Systemtheoretiker rechne ich mit allem, nur nicht mit einer Abhandlung über die Liebe. Da habe ich im Studium wohl nicht aufgepasst. Einschlägige Online-Buchhändler belehren mich sofort eines Besseren. Ein ganzes Buch hat er darüber geschrieben, und die kurze Passage im Interview geht so: „Also, der Liebesbeweis ist dann eben das Sicheinlassen auf das, was man in den Augen des anderen ist. Und das zu wissen! Also, nicht einfach sich zu fügen, sondern das auch zu wollen und der sein, den der andere oder die andere erwartet, dass man es ist.“

Das sitzt. Die Asche ascht, eine Ameise zickzackt mein Bein empor. Ich bin kein Theoretiker, sondern eher praktisch veranlagt. Also suche ich immer rasch nach der Möglichkeit, Dinge in die Tat umzusetzen. Die bietet sich schneller als erwartet. Mir fällt nämlich ein, dass wir fast nichts mehr im Haus haben. Ich lasse das Buch Buch sein und fahre in den nächsten Supermarkt. Dort streife ich durch die Regale und wundere mich wieder einmal. Darüber, dass es hier keinen Senf gibt, dafür aber Sauerkraut, und dass das 400 Gramm Glas Nutella um die 8 Euro kostet.

Ohne lange nachzudenken, lade ich in meinen Wagen: Pumpernickel, Quitten-Gelee, grünen Salat, mit Salz und Essig gewürzte Chips, Müsli, Äpfel, geräucherten Schinken, Oliven, Tomaten, Kartoffeln, Kräuter (ausnahmsweise ist Basilikum erhältlich) und Schafskäse. Während ich die Waren an der Kasse auf den Tresen lege, fällt mir auf, dass, wäre ich alleine auf der Welt, mein Einkaufswagen mindestens zur Hälfte mit anderen Dingen gefüllt worden wäre. Zum Beispiel mit Baguette statt Pumpernickel, ungesund oder nicht, und wahrscheinlich auch Nutella. Ich habe – Stück um Stück – für E. eingekauft. Was würde der alte Luhmann dazu sagen?

Die Gehilfin hinter der Kasse stopft die Sachen in Tüten. Sie stopft? Meine Liebesbeweise? In Tüten? Halt, rufe ich, und reiche ihr die von E. geliebten Jutetaschen hin. Sogar an die habe ich gedacht, ohne daran zu denken.

Wieder zuhause, bereite ich ein Abendbrot zu. Dann hole ich E. vom Flughafen ab. Später essen wir. Ich kaue Pumpernickel und schaue sie derweil wohl irgendwie besonders an, wenn das geht, mit vollem Mund. E. schaut jedenfalls zurück und fragt, was ich denn so schaue? Wie soll ich das jetzt bloß erklären?