Hitzestau unterm Kunstbart

Lieber Markus,

Fast 60 Grad Unterschied?! Unfassbar, aber Du hast recht. Hier sind es heute etwa 33 Grad plus, und statt dem Gockel weckt uns hier papageienartiges Gefieder! Wo liegt wohl die Betriebstemperatur des Menschen im Allgemeinen?

Für mich selbst kann ich sagen: zwischen 15 Grad minus und 30 Grad plus. Darunter kann ich nicht mehr sprechen, weil der Kiefer gefriert, und darüber nicht mehr denken, weil das Oberstübchen im Schongang zu Brei gegart wird.

Da wir gerade beim Thema Wetter sind, hier einiges klimamäßig Wissenswerte über Accra im high-speed Vergleich:

Heizungen
Gibt es nicht, nur Klimaanlagen. Heizungen haben einen Vorteil: Sie machen keinen Lärm. Klimaanlagen schon. Außerdem haben die Temperatureinstellungen nichts mit dem persönlichen Befinden zu tun. Stellen wir 28 Grad ein, frieren wir, stellen wir 29 Grad ein, schwitzen wir. Eine Ähnlichkeit zu Moskau gibt es: Die einzig angenehme Temperatur stellt sich ein, wenn wir bei 28 Grad das Fenster offen lassen. Das bisschen Luft, das durch die Moskitonetze weht, sorgt für den Ausgleich.

30 Grad Wäsche
Kaum möglich, da das Wasser in den schwarzen Wassertanks auf den Dächern brutalstmöglich vorgeheizt wird und zuweilen mit 50-60 Grad aus der Leitung kommt.

Winterkleidung
Unsere Wächter tragen in den seltenen kühleren Nächten, wenn die Temperaturen auf 25 Grad sinken, Sweatshirts, Daunenjacken und Wollmützen. Das ist der Moment, in dem wir die Klimaanlagen ausschalten und aufatmen.

Verreisen
Ist zumindest in Punkto Gepäck einfach. Man braucht nur ein T-Shirt oder ein Hemd sowie ein gutes Deo. Kofferraum-Overkills wie in Deutschland gibt es nicht, wo man im Osterreisegepäck Sommer-, Winter-und noch Regenkleidung mit sich führen sollte und das Auto von außen wie ein vollgestopfter Kleidersack auf Rädern aussieht.

Nikolaus-Auftritte
Im traditionellen Gewand des Gutmenschen in Rot beglückte ich am 6. Dezember zwei Kleinkinder. Den Auftritt bezahlte ich jedoch fast mit meinem Leben. Das Outfit aus naturbelassenem Polyester, gekauft in der einzigen Shopping Mall in Ghana, war so atmungsaktiv wie eine Mülltüte. Auch der Kunstbart sorgte für Hitzestau unter dem Pony.

Dazu kam noch der pädagogische Stress. Die Eltern hatten mich zuvor eingewiesen. Ein bisschen schimpfen sollte ich schon, aber nicht zu viel. Nett sollte ich sein, aber nicht zu nett. Freundlich, aber bestimmt, und doch auch gütig. Ich schwitzte also wegen der Hitze und noch viel mehr aus Angst vor den Regressforderungen der Eltern. Sollte die Brut ein paar Jahre später wegen Aufmerksamkeitsstörungen und Autoritätsproblemen aus dem Hochbegabten-Internat fliegen und daraufhin zum Serienmörder mutieren, bin wahrscheinlich ich Schuld. Haben Nikoläuse eigentlich Berufshaftpflichtversicherungen?

Aber genug vom Wetter. Mittlerweile ist es ja 2010. Alles Gute allen Leserinnen und Lesern und auch nach Moskau! Wir waren über Weihnachten zuhause in Deutschland, worüber es an dieser Stelle wenig Interessantes zu berichten gibt. Dafür beantworte ich in der nächsten Folge wahrscheinlich die Frage, von welchem zuhause ich eigentlich spreche, und erzähle außerdem von den heiteren Erlebnissen, die wir drei Stunden vor unserem Abflug in Ghana erleben durften.

Bis dahin viele Grüße

Michael