100 Tage Deutschland (Folge 1)

Als ich ganz harmlos und ohne jede Einbruchsabsicht an einem Schild wie diesem vorbeispazierte, nahm ich mir vor, in Zukunft öfter auf dem „Sie“ zu bestehen.
Als ich gestern ganz harmlos und ohne jede Einbruchsabsicht an einem Schild wie diesem vorbeispazierte, nahm ich mir vor in Zukunft öfter auf dem „Sie“ zu bestehen.
Quelle: Meine eigenes “Design”; der Hund ist von saycheesecake / 123RF Lizenzfreie Bilder.

 

Mitte März bin ich nach knapp acht Jahren Afrika wieder nach Deutschland zurückgekommen. Zeit für eine Zwischenbilanz in ungeordneter Reihenfolge.

(1)
In Frankfurt entschuldigt sich eine Lautsprecherstimme für eine vierminütige Verspätung der S-Bahn. Der Mann neben mir murrt: „So ein Quatsch, die kommt doch immer zu spät.“

(2)
Nach gefühlt drei Minuten Regen beginnt – so sicher wie das nächste Katzenfoto-Posting – allgemeines Social-Media-Geheule. Dabei finde ich das Wetter viel besser, als erwartet.

(3)
Deutsche Autofahrer blinken beim Abbiegen, Anhalten am Fahrbahnrand und zu allen anderen Gelegenheiten, die Blinken erforderlich machen, genauso wenig wie Kenianische.

(4)
Unfugtreibende Kinder, zum Beispiel im Supermarkt, in der Post oder an der Tankstelle, werden in Kenia auf Freundlichste davon abgehalten. Hier werden sie entweder still leidend angestarrt oder angeschnauzt.

(5)
Auch in Deutschland gibt es tatsächlich Stromausfälle. Ich hätte vielleicht doch meine LKW-Batterien, die in der Speisekammer standen, und den Generator mitnehmen sollen.

(6)
Deutsche hängen Schilder an ihre Gartenzäune auf denen ein <Name eines beliebigen Kampfhundes eintragen> zu sehen ist. Daneben steht in Frakturschrift: „Ich brauche 5 Sekunden bis zur Gartentüre. Und Du?”

(7)
Beim Sommermärchen 2006 fand ich es ok, mit Deutschlandfahnen am Auto durch die Gegend zu fahren. Jetzt, mit AfD, Pegida und Co. im Nacken, hat das schon wieder ein Gschmäckle.

(8)
In Kenia gab’s Mobilfunk – mit Datenverbindung – sogar zwischen Giraffen und Elefanten im Nationalpark. Hier zerbröselt das Gespräch kurz nach Verlassen des Frankfurter Hauptbahnhofes.

(9)
Der deutsche Wald ist so gut wie leer. Das Kind aus Afrika fragt beim Spaziergang, ob wir denn auch Tiere sehen werden. Ausbeute nach zwei Stunden Fußmarsch: eine Taube, ein Eichhörnchen und zwei Nacktschnecken.

(10)
Wir sind ganz klar Vorreiter in Sachen Emanzipation. In Kenia war ich der einzige Mann, der sein Kind zum Kindergarten gebracht und wieder abgeholt hat. Hier sind es außer mir noch zwei – bei 45 Kindern. Der Rest: Mütter.

Wird fortgesetzt…

 

Wo ist eigentlich unser Sofa?

So oder so ähnlich lautet E.s erste Frage, wenn sie nach einem langen Bürotag nachhause kommt. Ich habe dann schon eine Webseite namens “Vesselfinder” angeworfen und nachgeschaut. All unsere Sachen stecken in einem Container. Der Container steht mit vielen anderen auf einem Schiff (das übrigens unter Panamesischer Flagge segelt. Wir können aber nichts dafür. Ehrlich). Das Schiff legte Ende März im kenianischen Hafen Mombasa ab – und fuhr erst einmal nach Süden, nach Daressalam in Tansania. Vorige Woche zuckelte es mit etwa 14 Knoten im Roten Meer nach Norden in Richtung Suezkanal. Das war zumindest die richtige Richtung. Heute hat es wieder umgedreht und fährt zurück nach Aden in Jemen. Ist der Kapitän betrunken? Wurde das Schiff gekapert? Ist es in Wahrheit eine Straßenbahn? Unser Transportunternehmen hat die Ankunft des Sofas (und des ganzen Rests) für Mitte Mai avisiert. Wenn wir das mal glauben sollen. Bis dahin: Hallo Gartenstuhl!

Hartmut und ich

Schon einmal hatte ich hier in diesem Blog bemängelt, oder sagen wir es neutraler: festgestellt, dass trotz aller Bemühungen von Suffragetten, Emanzen und sonstigen Frauenrechtlerinnen, alles beim Alten zu sein scheint.

Noch immer bin ich der einzige Mann, der seinem Kind länger als ein paar Minuten bei Spielgruppe, Gartenparty oder beim ausgelassenem Herumrasen das Händchen hält. Ich hatte dabei den Beweis angetreten, dass es, zunmindest in Kenia, nicht weit her war mit der Rollengleichheit: Wie gehabt, drücken die Herren ihre Bäuche hinter die Schreibtischplatte, die Damen ihre hinter den Bügel des Kinderwagens.

Nun weiß ich – und Hartmut, der in Stein gehauene Ritter meiner kleinen hessischen Heimatstadt soll mein Zeuge sein – dass es hier in Deutschland auch nicht anders ist.

Zu Füßen des Geharnischten befindet sich ein Springbrunnen. In ihm und um ihn herum tollen die lieben Kleinen. Auf den Bänken sitzen und an den Kinderwagen lehnen die Erziehungsberechtigten. Sie plaudern miteinander, tatschen auf ihren Smartphones herum oder schauen gleichmütig den Spielen ihrer Kinder zu. Heute waren es elf, mich inklusive, und es waren, von mir abgesehen, alles Frauen.

Ach, Hartmut. Wie war das denn bei Dir im 16. Jahrhundert? Als Raubritter trugst Du Helm und Schwert und drücktest Deinen vermutlich straffen Bauch hinter die Zügel Deines Schlachtrosses. Wohin schaut Dein Standbild eigentlich so kernig? Sind es Feinde, die Deine Burg belagern wollen? Der kaiserliche Fiskalbeamte, dem Du noch die Einkommensteuererklärung von 1527-31 schuldest?

Wahrscheinlich sind es Deine Kinder, die aus der Knappen-Kita nachhause kommen. Gleich wirst Du ihnen mit dem Schwert einen Apfel kleinschnippeln. Beim Windelnwechseln klappst Du mannhaft Dein Visier herunter. Währendessen perforiert Deine Frau durchs Küchenfenster mit der Arkebuse den wartenden Finanzbeamten. Ja, so warn’s, die alten Rittersleut.

Ganz großes Tennis

Flughafen Nairobi, Business Lounge. Ein Horrorjahr geht zu Ende. B. und Babaa dürfen endlich nach Hause. Nach Deutschland. Ich habe darüber nie etwas geschrieben. Eine Adoption ist ein rechtlicher Akt. Wollte über ein laufendes Verfahren nicht berichten. Besonders, da in Kenia Recht nicht dasselbe ist wie in Deutschland. Deshalb haben wir uns bedeckt gehalten. Nun, nach unzähligen bürokratischen Hürden, nach Rechtsauslegung nach Gutdünken, nach geradezu politischer Verfolgung ausländischer Adoptiveltern und ihrer Kinder haben Babaa und B. soeben die kenianischen Ausreiseformalitäten passiert. Sind überglücklich. Baba jedenfalls, der ein Tusker-Bier nach dem anderen trinkt, weil den Stress, der abfällt wie die Blätter im Herbst, sonst gar nicht mehr aushält. B. versteht von alldem nichts und mampft friedlich die Schokoladenseite eines Kinderüberraschungs-Eis, das als Spiel eine Art Kegelbahn enthält. Nimmt die Papp-Kegel, hält sie hoch empor und ruft, zur Überraschung der anderen Insassen, laut in die gedämpfte Business-Atmosphäre hinein: TENNIS!!!

Fröhliche Weihnachten

Jetzt kann ich endlich verraten, wofür dieses B. steht, von dem hier immer Rede ist: Bissspuren.

Die eingebaute Busspur

Früher hieß es, ein Mercedes verfüge über eine eingebaute Vorfahrt. Das mag oder mochte vielleicht für Deutschland gelten, nicht aber für Kenia. Wer hier protzen will, fährt dicke Toyota Landcruiser oder andere essbare Gefährte, denn wie ein Nachbar unlängst in einem überraschenden Anfall von Systemkritik sagte: “You know, these Kenyan politicians, they are eating Range Rovers for breakfast.” Doch alles protzen hilft auch dem dicksten Frühstücksparlamentarier nichts, denn vor der proletarischen Macht des öffentlichen Nahverkehrs sind wir alle gleich. Beim geringsten Anzeichen einer Störung im Verkehrsfluss aktiviert sich beim Matatu, dem hiesigen Personenbeförderungskleinbus (siehe Bild, Marke Eigenbau auf Basis eines Isuzu Pritschenwagens), die eingebaute Busspur. Sie hält sich nicht an Fahrbahnmarkierungen, sondern wird, den Verhältnissen ideal angepasst, spontan verlegt – auf die Rabatte am Straßenrand, die Fußgängerpfade oder auf die Gegenfahrbahn. Die ersten paar Jahre hat mich das noch aufgeregt. Allmählich sehe ich den Vorteil im Vergleich zur europäischen Variante: Diese Busspur verschwindet nach Gebrauch spurlos.