Bombenstimmung (2)

Nach „Bombenstimmung (1)“ wurde gewünscht, ich sollte meinen Humor nicht verlieren. Ehrlich, ich gebe mir jede Mühe. Doch gestern, als ich wieder einmal in meinem Lieblingscafé saß, wurde mir doch für einen Moment ganz humorlos ums Gemüt. Nicht, weil etwa jemand eine Bombe warf, sondern weil das Bombenwerfen um mich herum Tischgespräch Nummer 1 war.

Wie ich da so sitze, direkt am großen Fenster zu Straße hinaus, neben mir eine Mauer als Raumteiler, setzt sich ein Herr an den Nebentisch, wo schon ein anderer sitzt. Der Laden ist voll. Man kommt ins Gespräch. Ich höre zu. Nein, das ist zu schwach. Ich bin GEZWUNGEN zuzuhören. Ich kann nicht anders.

Wie funktioniert das nur? Ich sitze in einen einem vollen, lauten Café und arbeite am Laptop. Um mich herum tost der Lärm. Von draußen Straßengeräusche. Auch das wiederkehrende Heulen einer Autoalarmanlage vom Parkplatz. Drinnen leichte Lounge Musik, etwas zu laut. Etwa hundert Gäste quatschen durcheinander. Telefone klingeln, Gläser scheppern, Espressomaschinen fauchen.

All das blende ich aus und konzentriere mich auf einen Text, an dem ich arbeite. Dann treffen sich die beiden Herren am Nebentisch und beginnen, sich zu unterhalten. Einer ist offenbar gerade frisch in Nairobi angekommen, der andere wohnt schon länger hier. Das Gespräch beginnt mit „Und was machen Sie so?“, und ich will mich geistig schon abwenden, da fragt der Neuling den Veteranen nach der Sicherheitslage.

„Wegen der Bomben?“, will der Gefragte wissen. Ja. Also das sei ein echter Stimmungskiller. Als hätte Nairobi nicht schon genug Probleme mit der Sicherheit. „Ist es denn wirklich so schlimm mit der Kriminalität?“, fragt die Neue, er hätte schon viel über Raubüberfälle und Entführungen gehört.

Aber ja, sagt der andere, er sei nur zwei Wochen nach seiner Ankunft überfallen und entführt worden. Die Gangster hätten ihn mit einem Messer verletzt. Hier, sagt er, und zeigt dem Neuling eine Narbe am Hals. „Wow!“, sagt der andere.

Ist es eigentlich unfein, Leuten am Nebentisch zuzuhören? Ich saß einmal in einem Schweizer Skiort im Café an der Eisbahn und las Tageszeitung, als sich ein Pärchen an den Nebentisch setzte. Es begann ein sehr intensives Gespräch, und irgendwann stellte ich fest, die trennen sich gerade.

Obwohl ich nicht wollte, konnte ich nicht anders als zuhören, starrte aber zur Tarnung weiter in meine Zeitung, immer an dieselbe Stelle, eine gefühlte Stunde lang. Die Buchstaben tanzten langsamen Walzer vor meinen Augen und widersetzten sich erfolgreich einer sinnvollen Aneinanderreihung.

Die Argumente für und gegen die Fortführung weiß ich leider nicht mehr, es ist zu lange her. Ich erinnere mich nur noch an das moralische Dilemma wegen Mithörens fremder Gespräche in Cafés. Was hätte ich tun sollen, aufstehen und gehen vielleicht, oder mal kurz hinüberrufen, sie sollten doch bitte ihre Beziehungswäsche anderswo waschen?

Die Herren am Nebentisch in Nairobi sind nun fertig mit der Erörterung der Sicherheitslage. Der Veteran geht, während der Neue zurückbleibt und auch seinen Laptop aufklappt. Ich schaue wieder aus dem Fenster und erinnere mich daran, dass schon vor einem Jahr jemand meinte, die Frage nach einem großen Anschlag sei nicht „Ob?“, sondern „Wann?“.

Da tippt jemand auf meine Schulter. Ich zucke zusammen, es ist aber kein Terrorist, sondern nur ein befreundeter Geschäftsmann. Ob ich wegen der Bomben hinter der kleinen Mauer sitze, fragt er. Und ob ich schon von dem neuen Anschlag gehört hätte? Im Nordosten ist ein Kleinbus mit einer Rakete beschossen worden.

Ich versuche mich an einer positiven Interpretation. Das seien ja nur kleine Angriffe, sage ich, viel scheinen diese Al-Shabaab Leute ja nicht zu Wege zu bringen. Vielleicht ist jetzt Ruhe. Aber nein. Der Veteran sagt nur, ach was, die seien eben überrumpelt worden. “Das große Ding kommt noch, in vier bis sechs Wochen. Trotzdem noch einen schönen Tag“, ruft er gut gelaunt und verlässt das Café.

Und was lerne ich daraus? Eine Sicherheitslage hat immer etwas Subjektives. Fast so wie der Wetterbericht, der zur wahren Temperatur auch die gefühlte mitliefert. So kann keiner sagen, stell‘ Dich nicht so an, es sind doch 22 Grad. Oder wie das Biowetter in irgendeinem Frühstücksfernsehen, das mir zur Wetterlage gleich noch die Krankheitssymptome mitlieferte, die ich heute gefälligst zur verspüren habe.

Also am besten gar nicht mehr hinhören. Doch was, wenn die am Nebentisch sich über das Thema unterhalten und ich einfach nicht anders kann, als zuzuhören? Ist die Lösung, nicht mehr ins Café zu gehen? Oder sollte ich einen Meditationskurs machen, der es mir erlaubt, die Umwelt komplett auszublenden? Und wenn ich alles ausblende, wie kann ich dann antworten, wenn die Bedienung fragt, ob ich noch einen Cappuccino will? Fragen über Fragen.