Karl der Kiffer oder: Epitaph auf einen Baum

Als ich noch zur Schule ging, gab es ein Lied, in dem es ums Bäumefällen ging und eigentlich um den Käfer Karl, der dabei sein Heim verlor. Vielleicht wegen früher Harthörigkeit oder einer neurologischen Dauerfehlschaltung hatte ich aber immer “Karl der Kiffer” verstanden, der nicht gefragt, sondern fortgejagt wurde. Von wo: aus dem Jugendzentrum, seiner Wohnung, dem Drogenstrich? Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei dachte. Ein Schulfreund klärte mich irgendwann auf.

Hier in Kenia wurden jüngst auch jede Menge Käfer verjagt, und die Geschichte hat auch viel mit Fehlinterpretationen zu tun. Die Band, die mit diesem Lied Anfang der 80er Jahre ein One-Hit-Wonder hatte, hieß “Gänsehaut”. Auch das passt ausgezeichnet.

Alles begann mit einem ungeheuren Krachen, das uns eines Nachts in Kenia aus dem Schlaf riss. Nach kurzer Besinnungslosigkeit tasteten wir nach Taschenlampe und Lichtschalter. Zwei Ideen formten sich in unseren Adrenalin überschwemmten Hirnen: Erdbeben oder Einbrecher. Das Erdbeben schlossen wir schnell aus. Schließlich hatte es nur gekracht, aber nicht gewackelt. Blieben die Einbrecher.

In Nairobi, das im Volksmund auch “Nairobbery” genannt wird, grenzt die Verbrecher-Prophylaxe an Wahnsinn. Gitter, Schlösser, Riegel und Alarmanlagen sichern das Haus nach allen Richtungen. Dieser Wahnsinn verwandelt sich nach und nach in eine echte Paranoia. Jedes Knarren, Knarzen und Quietschen in der Nacht wird dem drohenden Einbruch gleichgesetzt. In den ersten paar Wochen waren wir deshalb regelmäßig hochgeschreckt, wenn mal ein Gecko hustete. So auch jetzt. Gänsehaut inklusive, versteht sich.

Ich stand auf und leuchtete mit einer Taschenlampe erst einmal durchs Zwischengitter, das Schlafzimmertrakt vom Rest des Hauses trennt. Nichts. Ich öffnete das Gitter, schaute links, schaute rechts. Auch nichts. Wir wurden mutiger und durchsuchten das gesamte Haus. Alles war ruhig. Nichts war umgefallen, eingestürzt oder explodiert. Wir waren ja erst eingezogen, und ich hätte es absolut für möglich gehalten, dass ein vom tropischen Klima durchweichter Ikea-Billy entkräftet zusammengebrochen war. Doch die Billys standen wie festgemauert.

Ein Blick aus dem Küchenfenster zeigte den wahren Grund der Ruhestörung. Der Regen, der sehr pünktlich und reichhaltig mit dem Beginn der Regenzeit über uns gekommen war, hatte den Boden gelockert. Ein bereits geschwächter Baum hatte daraufhin dem Leben entsagt und sich in selbstmörderischer Absicht auf unser Haus gestürzt. Dort hing er, halb vor, halb auf dem Dach, und hatte ein Stück davon zerschmettert. Not macht dankbar. Wenigstens kein Einbrecher, gähnten wir uns zu, und gingen wieder schlafen.


Gefallen.
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Am nächsten Tag riefen wir unseren Vermieter an, einen etwa 60-jährigen Inder. Der schickte seinen 80-jährigen Vater zur Bestandsaufnahme. Der alte Herr marschierte, auf einen mächtigen Stock gestützt, über die Unglücksstelle und rief seinen ebenfalls herbeigeeilten Helfern zu: “Cut, cut, cut, cut”.

Dies sollte allerdings erst zwei Tage später geschehen und geschah auch. Im Überschwang rissen die fleißigen Aufräumarbeiter aber gleich noch Bananen um, zerlegten das eben erst angelegte Salatbeet und zertrampelten die Petersilie. Nur den Rucola rettete unser Gärtner, indem er sich helfenhaft davorstellte und nicht mehr von der Stelle wich.

Die gute Nachricht dabei war: Der Baum war schon länger tot gewesen, hatte also quasi wie ein Pflanzen-Zombie in unserem Garten gestanden. Sein Holz, das sich, wie uns der Gärtner versicherte, ohnehin prächtig zum Feuermachen eignete, war praktischerweise bereits trocken. Es dient uns jetzt in der kalten Regenzeit als prima Wärmequelle im Kamin.

Und Karl der Ki…, äh, Käfer? Der muss nun umziehen, aber in unserem dschungelartigen Garten gibt es genug Wohnraum für ihn und seine zahlreiche Verwandschaft, die uns ständig in Bad, Küche und Wohnzimmer begegnet.


Geschärft.
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Gemessen.
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Gesägt
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